,Das Leben zur Zeit ist doch hart', so sagt jemand zu mir. Seine Stimme klingt dabei nicht verbittert. Aber ein wenig erschöpft, nüchtern und ehrlich wirken seine Worte auf mich. Mein Gesprächspartner schildert mir dann, wie er die letzten Wochen in der allgemeinen Einschränkung erlebt und wie seine angeschlagene wirtschaftliche Situation und seine Krankheit ihn belastet. Er jammert nicht wirklich darüber, aber er nennt deutlich beim Namen, wie es ihm geht.
,Das Leben ist doch hart´ so möchte ich ebenfalls miteinstimmen. Und dabei muss ich gar nicht unbedingt an die Coronabedrohung denken. Wer von einem Menschen enttäuscht wird, wer einen Misserfolg nicht verkraften kann, wer sein eigenes Scheitern zu erleben meint, wer sich ausgegrenzt, von anderen abgelehnt und verlassen fühlt, selbst dann, wenn ihm bewusst ist: ich bin daran zum Teil selbst schuld; wer das erfährt, der wird diesen Satz ebenfalls nachsprechen können: Das Leben ist doch hart. Und wer das so empfindet, für den ist wohl eines wichtig: dies aussprechen zu dürfen. Nicht drum herum zu reden, nichts zu beschönigen, nicht lächeln zu müssen und so zu tun, als sei alles in bester Ordnung. Nicht den Schein wahren zu müssen, als sei man immer angstfrei und glücklich. Sondern offen zugeben zu können: ja, jetzt erlebe ich es so: das Leben an sich ist doch hart und zerbrechlich.
Und damit bin ich nun bei der heutigen Botschaft des Karfreitags:
,O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn, o Haupt, zum Spott gebunden mit einer Dornenkron. … Was du, Herr, hast erduldet, ist alles meine Last. Ich hab es selbst verschuldet, was du getragen hast. Schau her, hier steh ich Armer, der Zorn verdienet hat. Gib mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnad.'
Diese Zeilen stammen von dem Liederdichter Paul Gerhard, der selbst vielfach die Härte des Lebens zu spüren bekam. Er will hier unseren Blick im Besonderen hinlenken auf den gekreuzigten Christus. Das entspricht dem Thema des Karfreitags.
Dem Anblick des Gekreuzigten standzuhalten, das bedeutet freilich nicht: Leiden zu verklären oder gar zu verherrlichen. Aber es heißt: sich immer wieder neu zu besinnen, sich der eigenen Situation und Schuld bewusst zu werden und um Gottes Gnade zu bitten.
Darin spiegelt sich die Botschaft des Karfreitags besonders deutlich: für uns, für mich ganz persönlich ist Jesus am Kreuz gestorben: um uns, um mir in diesem Vertrauen nahe zu sein, gerade dann, wenn das Leben hart ist. Das schließt dann ein: ich darf darauf im Glauben hoffen, mit Ihm verbunden zu bleiben: im Tod und über den Tod hinaus. ,Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir. Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür.“, so dichtet Paul Gerhard weiter, „Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.'
Dem Anblick Jesu am Kreuz standzuhalten, das bedeutet für uns, den Gedanken an unser eigenes Scheitern und Sterben nicht auszuweichen. Diese Passionsworte wollen unseren Blick wieder neu darauf hinlenken schwere Zeiten, Scheitern können und Sterben als Teil unseres Lebens bewusst anzunehmen und sich darauf vorzubereiten und zu verinnerlichen, worauf wir dann hoffen dürfen: dass Jesus Christus uns aus den Ängsten herausreißt, Zuversicht, Freude und Mut schenkt, kraft seiner Angst und Pein. Dass sein Bild, das Bild des Gekreuzigten uns dann gerade im Sterben vor Augen ist, darum bittet Paul Gerhardt in der letzten Strophe: ,... da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl.'
Mit diesen Passionsgedanken wird das Karfreitagsevangelium an uns weitergegeben. Mit Christus verbunden zu bleiben, im Leben wie im Sterben und über den Tod hinaus. Darauf dürfen wir hoffen und vertrauen, nicht nur an Karfreitag. Gott schenke Ihnen in diesen beunruhigenden Tagen ein frohes Osterfest.
Ihr Pfarrer Ewald Seißler